Auf meinen Streifzügen durch das Internet bin ich auf dieses Banner gestoßen. „Sind Sie der Auserwählte?“ fragt die Stellenbörse Stepstone. Eine Banner-Kurzkritik.
Es handelt sich um ein Werk zeitgenössischer Gebrauchskunst – wie in dieser Periode üblich von einem namenlosen Künstler. Die überlieferten Anmerkungen zeigen Verbindungen zur einflußreichen amerikanischen Schule von Doubleclick.
Typisch für diese Kunstrichtung ist die direkte Ansprache des Betrachters. „Sind Sie der Auserwählte?“ heißt es in großen weißen Lettern, vor einem schwarzen Hintergrund, auf dem auch eine Reihe leuchtend grüner Nullen und Einsen zu sehen sind.
Kennern dieser Epoche wird die Anspielung auf das stilprägende Werk der Brüder Wachowski „Die Matrix“ direkt ins Auge stechen. Dort geht es um einen jungen Mann namens Neo, der – wie viele seiner Zeit – orientierungslos auf der Suche nach seinem Platz im Leben ist. Wie sich herausstellt ist die triste Realität nichts anderes als ein maschinengesteuerter Traum, den Neo mit der Einnahme einer roten Pille quasi abstreifen kann, um sein wahres Schicksal als Auserwählter der Menschheit zu erfahren.
Der Betrachter des Banners soll sich offenbar die Frage stellen, ob auch nur in einer tristen Traumwelt gefangen ist. Doch nach dieser kurzen Einsteigssequenz kommt es zu einem Bruch. Der schwarze Hintergrund verschwindet, und der Leser wird geradezu mit einzelnen Worten bombardiert: Java, C++, PHP, Perl, SAP, Oracle, LAN, Linux, Firewall. Sie erscheinen in Kontradiktion zu den harten übergängen in einem beruhigenden sanftem Blau. Der Schriftsatz ist schnörkellos, einfach und geradezu freundlich.
Die Intention des Malers ist klar, andererseits auch wieder völlig rätselhaft. Eindeutig wird hier ein Gegenentwurf zu der alternativen Realität geschaffen, in der Neo seine vermeintlich wahre Bestimmung findet. Es ist die triste Bürowelt aus der die neun scheinbar wahllos herausgesuchten Begriffe stammen. Doch soll der Betrachter damit verschreckt werden? Soll die Kanonade der Buzzwords eine Bedrohung symbolisieren?
Erst die Schlusssequenz löst die Fragen auf. In zwei einfachen, klaren Bildern vermittelt das Werk die abschließende Botschaft: „Jobs für ITler gibt es bei stepstone.de“. Es ist also positive Einstellung, die dem Betrachter nahe gebracht werden soll. Der Künstler sagt: „Nein, Du musst nicht die rote Pille nehmen, die Dich aus der Realität entführt. Die Realität braucht Dich, damit Du die Datenbanksysteme für Webshops programmieren kannst. Lasse Dich in der Matrix nieder, denn auch hier bist Du ein Auserwählter“.
Gerade vor dem Hintergrund der geradezu lebensbejahenden Botschaft mag es erstaunen, dass eben dieses Werk in zeitgenössischen Beschreibungen für eine Reihe tragischer Selbstmorde verantwortlich gemacht wird. Aber wie wir heute wissen, übertrieben die Medien damals schamlos, sodass die Wahrheit wie so oft einfach nur im Auge des Betrachters liegt.