Plötzlich waren sie weg. Es fiel nicht sofort auf. Wie auch? Der Straßenverkehr nahm nicht merklich ab, die Fußballstadien waren nicht ausgestorbener als zuvor. Nicht einmal im Media-Markt fiel ihr Fehlen zunächst auf. Doch die Nerds waren unbestreitbar verschwunden. Sie hatten ihren ganz eigenen Weg gefunden, diesen Erdball zu verlassen – und sie hatten uns noch ein paar Überraschungen hinterlassen.
Die Server liefen weiter. So wie ein Hochofen noch lange nach dem Erlöschen nicht kalt ist, so verrichten die Apaches, die IISse, ja sogar die WuFTPs weiter ihren Dienst, wenn man sie denn in Ruhe lässt. Im wesentlichen.
Ich selbst merkte es zuerst an meiner Inbox. Die Mailfilter, die mich seit einigen Monaten sorgfältig vor Werbemüll und anderen elektronischen Durchfallerkrankungen bewahrten, versagten einer nach dem anderen. Welcher normale Mensch markiert schon jede einzelne Spammail und schickt die Hashwerte an einen Server? Wie geht das überhaupt? Und was ist verdammt nochmal ein Hash? Woher kommt der ganze Mailmüll schon wieder her?
Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Nicht der Ursprungs des Spams interessierte mich – ich wollte einfach wieder mein Outlook in Ordnung haben. Doch unter der Durchwahl der IT-Abteilung meldete sich niemand. Meine Mail an den Supportcontroller kam postwendend wieder zurück, mit etwas, was ich trotzt englischem Text und wahnsinnig vieler Zahlen prompt als Fehlermeldung erkannte. Also musste ich mich wohl persönlich in die IT-Abteilung begeben. Ein Novum.
Wo genau war die IT-Abteilung? Ich wusste es nicht. Diese Computer-Heinis hatten sowieso ihren eigenen Bereich. Wo sie genau arbeiteten, wußte eigentlich keiner. Schon öfter war spekuliert worden, ob sie Tag und Nacht im Mehrzweckkeller der Firma bei Kaffee und Junkfood hausten oder ob sie diese ganze obskure Computerei bequem von zu Hause oder aus dem Biergarten erledigten. Aber das Interesse war nie groß genug gewesen, um daraus eine Bürowette zu machen und das Geheimnis zu ergründen.
Nach einer halben Stunde hatte ich das Büro gefunden. Drei Namen standen an der Tür, doch auf mein Klopfen reagierte niemand. Die Frau drei Türen weiter wußte auch nicht, wann und ob dort jemals jemand arbeitete. Also fasste ich mir ein Herz und öffnete die Tür des verlassenen Büros. Vielleicht könnte ich eine Nachricht hinterlassen oder gar die Ursache des ärgerlichen Fehlers entdecken.
Als ich den Raum betrat, stolperte ich über einen strategisch platzierten Dosenstapel. In dem schummerigen Licht hatte ich keine Chance gehabt und jetzt rollten überall Dosen mit merkwürdigen Aufschriften umher. Ich sah mich um. Hier war also der Beamer geblieben, mit dem wir die Fußballweltmeisterschaft geguckt hatten. Angeblich war die Birne kaputt und der Hersteller konnte keinen Ersatz liefern.
Lang konnten die Admins noch nicht weg sein – es lag noch eine halbe Pizza auf dem Schreibtisch. Doch nein, die Pizza war kalt und irgendwie sehr hart – irgendein Witzbold hatte sie in Kunstharz eingegossen. Ein Computer lief noch. „Touch this and die“ stand auf dem Keyboard. Also bewegte ich stattdessen die Maus, um den Bildschirmschoner zu deaktivieren. Doch das war offensichtlich ein Fehler. Plötzlich blinkten alle Monitore im Raum, der Beamer schaltete sich ein und warf die Wörter „Intruder Alarm“ auf die Leinwand. Ich floh.
Zwei Stunden später war ich auf dem Weg nach Hause. Wie sich herausstellte waren in dem Moment, als ich die Maus berührte, sämtliche Server in der Firma heruntergefahren. Nichts ging mehr – nicht einmal der Notdienst ging an den Apparat. Dabei hatten wir grade vor sechs Wochen auf top-moderne IP-Telefone umgestellt. Der Chef bekam einen veritablen Nervenzusammenbruch und schickte uns alle nach Hause. Zum Glück hatte mich niemand gesehen. Und ich wusste immer noch nicht, was überhaupt geschehen war.