Touristenfalle

„Stell Dir vor: Ich war mal Pirat.“ Captain Tyler spuckt voll Verachtung aus. „Und nun bin ich eine Schießbuden-Figur. Sieh mich nur an. Oder: Guck besser weg. Hau ab. Ich will nicht dass Du mich so siehst. Und ich ertrage Deinen Anblick nicht mehr.“ Eine leere Flasche zerschellt knapp neben meinem rechten Ohr. Es ist wieder einer dieser Tage.

So wirsch und betrunken Tyler eben noch war — kaum sieht er die fremde Gestalt in unsere Richtung kommen, springt er auf. Mit seinem halb schlurfenden, halb hoppelnden Gang kommt er dem Fremden entgegen, verneigt sich. „Ehrwürdiger Besucher. Wollen Handel treiben?“ „Nein, nein. Ähm.“ „Hab gute Ware. Frische CCs. Bunga Bunga. Jede Menge Bunga!“ „Eigentlich… ich glaub ich bin hier falsch.“

„Ahso…“ Tyler tritt an den Mann heran. Halbglatze, Brille, Touristenhosen. „Sie wollen also was anderes. Kommen Sie nur hier hinter den Vorhang. Hier können wir alles in Ruhe besprechen.“ Es ist Tylers hypnotischer Blick, der den Mann anzieht. Was würde ihn sonst bewegen, dem ungewaschenen Einheimischen in seine schmierige Hütte zu folgen? Zwei Minuten später schleicht sich der Tourist wieder hinaus.

„Was hat er gekauft?“ frag ich Tyler. „Einen DDOS. Stell Dir vor: Seine Frau hat ihm einen dieser Porno-Wächter auf dem PC installiert, der die Daten in der Cloud speichert. Und nun will den Server abschießen.“ „Erbärmlich“, sage ich. Nur um irgendwas zu sagen. Tyler guckt hinaus auf die See. „Ich hab ihn Bitcoins kaufen geschickt. Sag Freddy, er soll ihm mindestens 2000 Dollar abknöpfen.“ „Klar.“

„Früher waren wir noch unter uns.“ Tyler kommt wieder ins Lamentieren. Die offene See. Unendliche Möglichkeiten. Wir hatten sie und ergriffen sie. Die Mächtigsten der Welt konnten uns nicht schrecken. Sie schickten ihre Zerstörer und wir versenkten sie. Sie schickten Bomber, aber sie fanden uns nicht. Und dann. Und dann…“ Zu oft hatte ich diese Nostalgieanfälle gehört. Ich beschloss mich die Tirade abzukürzen. „Und dann AOL“, sagte ich. Und ging in Deckung. Den schon kam eine zweite Flasche geflogen. Und diesmal eine volle. „DIESE VERDAMMTEN LAMER!“ schreit Tyler. „Sie haben unsere Küste erobert. Strand für Strand, Feld für Fels. Sie haben Liegestühle aufgestellt und ihre Handtücher drauf gelegt. Nirgends sind wir ungestört“. „Erbärmlich“, sage ich. Nur um irgendwas zu sagen.

„Und dann diese braungebrannten Kalifonier! Google. Jeden Zipfel haben sie vermessen. Jeden verdammten Zipfel! Ich musste Vorhänge aufhängen, damit sie mir nicht ins Schlafzimmer gucken. Mir! Vorhänge!“ „Erbärmlich“, sage ich. Denn Tylers Vorhänge sind wirklich erbärmlich. Aber die Tirade geht schon weiter „Ja, wir haben viel Geld gemacht. Millionen. Hunderte. Sie haben uns gekauft. Und dann haben sie uns absaufen lassen! Und Steve Jobs mit seinem Privatstrand. Der hat Sprengfallen gelegt. Nur weil ich in der Nähe war! Er hat mir einen Zeh abgeschossen, der Hurensohn!“ „Erbärmlich“, sage ich. Tyler sackt in sich zusammen. „Uns gehörten die Weltmeere. Und nun sind wir Somalia!“ Er kramt nach einer neuen Flasche. Die will er nicht zerschmeißen.

Er nimmt einen tiefen Schluck und schaut gedankenverloren in die Ferne. Doch schon kommt wieder Bewegung seine verhärmte Gestalt. Der Tourist ist wieder da. Tyler entscheidet sich für Pose 17: Bedrohliche Unterwürfigkeit. Bitcoins wechseln den Besitzer, flüsternd werden IP-Adressen ausgetauscht. Schließlich haut Tyler dem Mann mit überraschender Kraft auf den verlängerten Rücken. „Keine Sorge! Wird alles erledigt!“ Der Mann macht einen Satz und verschwindet Richtung Hafen, wo sicher ein Kreuzfahrtschiff auf ihn wartet.

„Hast Du seine Daten?“, fragt Tyler mich. „Klar.“ sage ich. „Schicken wir ihm ein paar Nigeria-Mails?“ „Nein, Lady-Gaga-Porn. So Typen sind doch alle gleich.“ „Ja“, sage ich. „Erbärmlich.“ Und ich weiß nicht, wen ich meine.