Schon als ich aufwuchs, bekam ich manchmal etwas Politik ab. In der Diskussion um direkte Bürgerbeteiligung gab es in den 80ern ein Totschlagargument: „Wollen Sie denn die Leute über die Todesstrafe abstimmen lassen?“ Es schien dem Frager sicher, dass die deutsche Öffentlichkeit mit breiter Mehrheit dafür stimmen würde. Und dass das ein Fehler wäre. Lange Rede, kurzer Sinn: Mehrheiten haben nicht immer recht.
Eine unerwartete Abstimmung des Volkes erlebte das Unternehmen Digg. Auf der Seite wurde – ein AACS-Code veröffentlicht, der eindeutig gegen US-Recht (und international gegen viele ähnliche Regelungen) verstößt. Nachdem Digg den Artikel zunächst löschte, wurde die Firma von ihren Nutzern quasi gezwungen die Information wieder zu veröffentlichen und sich damit einem großen Risiko auszusetzen.
Ich bekomme aber langsam ein ungutes Gefühl dabei, wenn ich aufgebrachte Online-Massen dabei beobachte, wie sie für ihre Sicht der Dinge ohne Rücksicht auf möglicherweise dauerhaft schmerzhafte Verluste kämpfen, und zwar oft dann am heftigsten, wenn es darum geht, etwas umsonst zu bekommen.
Doch die Massen sind nicht überall die gleichen. Heute lese ich ein einem Blog-Artikel eines Wikipedianers:
The good news is that the community seems, for the most part, to be taking a sensible course of action and rejecting attempts to put the contents of the key into Wikipedia.
Die aufmüpfige Digg-Community zwingt ihren Betreiber zu einer Aktion, die im Eventualfall das Unternehmen ruinieren könnte. Bei der Wikipedia ist der Meinungsbildungsprozess jedoch anders, die entscheidenden Nutzer versuchen Schaden von dem Betreiber abzuwenden.
Zufall? Ich glaube kaum. Communities haben IMMER ein Eigenleben. Das wird bestimmt durch die Ansichten der Bevölkerung, den Regeln der Community und davon welche Nutzer von diesen Regeln angezogen werden. Auch die Vorbildfunktion von gewissen Rudelführern, Schreihälsen und Vieltippern spielt eine entscheidende Rolle. Sogar das Design der Seite. Das Rückgrat des Betreibers. Zufall. Und sogar das Wetter.
Was kann man tun? Für die hoffnungsvollen Web 2.0-Unternehmer heißt es: Wenn Ihr Communities nur auf Masse aufbaut, könnt ihr unschöne Überraschungen erleben. Für den Nutzer heißt es: Jeder hat die Communities, die er verdient.