Nerd republic

Nerds neigen nicht zu spontanen Gewalttaten oder spektakulären Aktionen. Sie laufen nicht nackt mit dem Megaphon vor Firmenzentralen auf und bringen 15000 Freunde mit. Sie neigen eher dazu, Mailinglisten anzulegen, spöttische Bilder online zu stellen und sich im Usenet und in Wikis auszutoben. Kurz gesagt: sie machen nichts, was irgendeine Firma oder einen Politiker beunruhigen müsste. Doch das ist vorbei. Mit dem Kampf gegen die Softwarepatente hat die Netzgemeinde bewiesen, dass sie politisches Potenzial hat.

Es sind bewegte Zeiten im Netz. Im Jahre 2 nach der Dotcom-Blase greifen internationale Konzerne immer unverfrorener zu unfeinen Mitteln: Microsoft entwickelt die ultimative Userfessel, Domainregistrare entführen ihre Kunden und SCO verklagt alle. User- und Aktivisten werden von wilden Spammer-Horden überrannt und immer verheerendere Virenattacken vergällen auch dem letzten AOL-User die Freude am Netz.

Das Thema „Softwarepatente“ erschien dagegen relativ farblos. Grob gesagt ging es darum, dass das EU-Patentrecht an das der USA angepasst werden sollte. Trockener Stoff. Spannend wird es, wenn man sich die Patent-Praxis jenseits des Atlantik ansieht: Amazon patentiert jeden Mausklick, die British Telecom will Gebühren für die Erfindung des Internet-Links und Plug-Ins in Browsern sind eine halbe Milliarde Dollar wert. Kleine Unternehmen und die OpenSource-Szene sehen sich in ihrer Existenz gefährdet, da sie mehr Geld und Zeit in fremde Patente stecken müssten als in ihre eigenen Entwicklungen. Also ein durchaus ernstzunehmendes Thema.

Der nerdige Umgang mit dem Thema heißt „Patentparty“ oder in lang „Patentprogrammierparty“. Man setzt sich mit Notebooks und Internetanbindung zusammen und schreibt kleine Programme, die gegen möglichst viele Softwarepatente verstoßen. Pro Anspruch gibt es einen Punkt und wer die meisten Punkte hat, gewinnt einen Preis. Typischerweise kann nur teinehmen, wer programmieren kann. Immerhin: diese Spiel wirkte auf alle Teilnehmer äußerst motivierend.

Ein anderer verbreitetes Mittel unter Netizens ist die sogenannte Onlinepetition. Man muss nicht aufstehen, man muss auch nicht verschärft nachdenken oder kreativ sein – mit ein paar Mausklicks ist es meist getan. Nicht mal mehr das Anlegen von Petitionen ist ein großes Problem, seit es PetitionOnline.com gibt. Nachteil dieser vermeintlich positiven Umstände: Onlinepetitionen sind beliebig, wenig aussagekräftig und werden von den Adressaten daher meist geflissentlich ignoriert.

Diesmal fiel das aber schwer. Denn die zentrale Petition zum Thema Softwarepatentewurde diesmal weit über 250.000 Mal „unterzeichnet“, die Nerds griffen nicht nur zu Email, sondern auch zu Telefon, Fax und sogar zur guten alten Schneckenpost, um ihren Europaabgeordneten die Meinung zu sagen. Das ging so weit, dass die zuständige Berichterstatterin sich über ein Bombardement an Desinformation beklagte.

Doch dieses letzte Aufbäumen der Patentbeführworter wurde geradezu weggeschwemmt. Sogar die eher offline-orientierte Bürgerbewegung Attac schaltete sich in den Kampf der Netizens ein. Am Mittwoch dann kam die Siegesnachricht: Das Europäische Parlament hat die ursprünglichen Pläne stark beschnitten, die Vorstellungen der Trivialpatent-Gegner wurden zum großen Teil in die Richtlinie übernommen.

Noch ist der Kampf um die Softwarepatente nicht entschieden, aber es sind viele weitere Herausforderungen am Horizont zu sehen. Es wird spannend zuzusehen, ob der Netizen jetzt erstmals wirklich politische Macht gewinnt. Stay tuned.